Das blaue Kästchen
Bevor der Wecker an diesem Tag überhaupt klingeln konnte, sind meine Augen bereits aus dem Bett gesprungen und haben meine Begeisterung kaum noch einholen können. Ich darf wieder in meinen Showroom, in meinen Laden laufen. Darf in meinem Showroom eindekorieren.
Es nieselt etwas diesem Donnerstag, aber das stört mich nicht im Geringsten. Ich trage Trenchcoat und Regenschirm mit Housecheck-Muster, das kleine Strohkörbchen steht bereits mit trippelnden Füßchen an der Haustüre bereit und drängelt zum baldigen Abmarsch.
Ich kann es auch kaum erwarten und laufe los. Es sind nur wenige Meter. Passend zu meinem Eintreffen erstrahlt die Schaufensterbeleuchtung und ein breites Lächeln zieht über mein Gesicht. Das Körbchen lässt sich bereitwillig auf meinem gelben Sessel abstellen …
Bevor ich eindekoriere, verlangt meine verwöhnte Zunge nach dem leckeren Kuchenstück vom Stand gegenüber. Es ist Markttag in Miesbach. Noch in seiner Bäckertüte entspannt sich das Stückchen Gaumenfreude und schaut mir zu. Musik läuft im Hintergrund. Ziemlich laut sogar. Ich mag das an diesem Tag und tanze mit meinen Schmuckschönheiten durch meinen schönen Showroom.
Bin beschwingt und kann überhaupt nicht aufhören mich zu freuen. Vergesse die Zeit und die Welt um mich herum. Jedes Schmuckstück findet seinen Platz, an dem es für diesen Tag seine Schönheit der Welt zeigen möchte. Wir sind ein tolles Team … sinniere ich zufrieden vor mich hin und will mich gerade in diese Art der Gedanken fallen lassen … Ruhe und Freude bestimmen diesen Augenblick. Denkste Puppe!
Eine Faust hämmert ungestüm an meine noch verschlossene Geschäftstür. Jetzt ist mir meine eigene Musik zu laut und die Besucherin vor der Tür gänzlich unbekannt. Während ich die Musik zum Schweigen bringe, hämmert die unbekannte Faust weiterhin an meine Tür. Meine freundliche Geste, dass ich sofort zur Öffnung eile, bleibt einstweilen unbeachtet.
Ich entsichere den Riegel und die Dame begrüßt mich:
„Also so geht des fei nedda!“
Bitte???
Ich verstehe nicht, was die Dame mir sagen möchte, auch wenn ich mittlerweile in das bayrische Idiom soweit eingedrungen bin, das ich zumindest daraus schließen kann, dass irgendetwas aus ihrer Sicht nicht stimmt. Aber was???
Ich entschließe mich zur königlich-britischen Vorgehensweise und lächele abwartend.
„Also so geht des fei nedda!“
Die Dame wiederholt ihr lautstarkes Ansinnen.
„Guten Morgen!“
Höflichkeit kann ja nicht schaden und da es noch wirklich früh an diesem Morgen ist, wähle ich diese Form der Begrüßung.
„Sie, gell, bittschön, des Kästchen könnens fei ned zu uns stellen.“
„Wir brauchn den Platz für unsere Tisch und im Winta wird der gsamte Schnee eh imma zu uns hingschippt!“
Schnee???
Ich strecke meine rechte Hand aus und in ihre Richtung und stelle mich erst einmal vor:
„Ich bin Kerstin Köglmeier.“
„Worum geht es, bitte?“
Schaue mir ihre Schürze an und folgere daraus, dass sie möglicherweise aus dem Café nebenan kommen könnte. Mit dieser Erkenntnis schließt sich auch der Kreis zum angesprochenen Kästchen.
Verstehe! Die blaue Kultur-Werbekiste. Freundlich schaue ich die Dame an. „Sie überschätzen meine Kräfte.“
„Ich verstehe, dass Sie das Teil vor Ihrem Café nicht gebrauchen können.“
Mein Satz war eigentlich noch nicht zu Ende …
„Bittschee, stellens des Kastl wieda do hi, wos imma gstanden hat.“
„Der Herr Ranft hat uns des schließlich erlaubt.“
Daher weht der Wind! Diverse Glühbirnen sorgen in meinem Kopf für Erleuchtung.
Ich schaue sie an und lächele. Langsam öffnet sich mein Mund und ich schaue den Worten hinterher, während sie in ihre Richtung tänzeln.
„Neues Spiel, neues Glück!“
Nun versteht sie nicht. Nicht eine Glühbirne springt an. Ich öffne erneut meinen Mund … beginne langsam und ruhig zu sprechen.
„Ich heiße Kerstin Köglmeier und ich bin nun die neue Mieterin dieser Räume.“
„Die Markapotheke gibt es nicht mehr und mit Herrn Ranft getroffene Vereinbarungen gehören damit auch in die Vergangenheit.“
Ihre Augen werden deutlich grösser. Ihre Ohren auch.
„Ich bin Goldschmiedin und dekoriere mit großer Begeisterung mein Schaufenster.“
„Es lebt davon, dass Menschen meine Auslagen betrachten können.“
„Weder die Farbe, noch das Kästchen an sich passen zu meinem Konzept.“
Ich mache aus taktischen Gründen eine kurze Pause.
„Kehren wir doch jetzt zum Beginn des Gespräches zurück und finden gemeinsam eine Lösung.“
Sie murmelt unverständliche Worte vor sich hin.
„Dann lassens das Kastl fei do stegn.“
Damit geht sie zurück in ihr Café.
Nun gut, denke ich mir und dekoriere weiter.
Als einige Tage später das Kästchen abgeholt und an einen anderen Standort gebracht wird, wähne ich mich in Sicherheit und lege das Thema zu den Akten.
Aus den Gedanken, aus dem Sinn.